TE Vwgh Erkenntnis 2007/12/12 2006/19/0742

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Veröffentlicht am 12.12.2007
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §24b Abs1 idF 2003/I/101;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. N. Bachler und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des A, vertreten durch Maga Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. Februar 2006, Zl. 267.606/0-III/67/06, betreffend §§ 5, 5a Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste gemeinsam mit seiner Ehefrau im September 2005 über die ukrainisch/slowakische Grenze in das Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein und beantragte am 8. September sowie am 6. Dezember 2005 in der Slowakei Asyl. Ohne die Entscheidung über diese Anträge abzuwarten, gelangte er am 10. Dezember 2005 in das Bundesgebiet und brachte am 12. Dezember 2005 einen (weiteren) Asylantrag ein.

Bei seinen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 19. und 28. Dezember 2005 gab er zu seinen Fluchtgründen an, er sei von den russischen Militärs in Tschetschenien verfolgt worden. Im August 2005 habe man ihn festgenommen, zehn Tag lang festgehalten und am ganzen Körper geschlagen. Gegen eine Überstellung in die Slowakei brachte er vor, er und seine schwangere Frau würden in diesem Fall "wieder in Schubhaft genommen werden." In der Slowakei habe man ihnen "ohne Dolmetsch verkündet, dass wir ein halbes Jahr im Gefängnis bleiben müssen, ... weil wir die Grenze illegal überschritten haben". Außerdem habe man ihnen gesagt, dass man in der Slowakei sowieso kein Asyl bekomme.

Am 22. Dezember 2005 wurde der Beschwerdeführer von der Fachärztin für Psychiatrie Dr. Stefanie Schiebel in der Erstaufnahmestelle untersucht. Der darüber erstellte Bericht - zu dem dem Beschwerdeführer nach der Aktenlage kein Parteiengehör gewährt wurde - enthielt Angaben des Beschwerdeführers über seine zehntägige Inhaftierung im Herkunftsstaat, die dabei erlittenen Misshandlungen (tägliche Schläge und "Behandlung" mit Strom), über seine "subjektiven Beschwerden" bzw. den "dzt.

psychopathologischen Status" (u.a. wurden Einschlafstörungen festgehalten, ungeachtet dessen seien aber zusammenfassend "dzt. keine traumaspezifischen Symptome explorierbar" und es lägen "keine Angaben" über mögliche Folterspuren vor) und als "Schlussfolgerung" - durch Ankreuzen eines dafür vorgesehenen Kästchens im Formular - die Bejahung der Frage nach einer "krankheitswerten psychischen Störung" mit dem Zusatz: "leicht depressive Episode". Im Folgenden verneinte die Ärztin (ebenfalls durch Ankreuzen eines vorgegebenen Textbausteines), dass im Fall der Überstellung des Beschwerdeführers in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Retraumatisierung gegeben sei, und sie hielt anschließend fest, die Schubhaft in der Slowakei sei vom Beschwerdeführer als schrecklich erlebt worden. Ein Aufenthalt "in einem Mitgliedstaat" scheine bei adäquater medizinischer Versorgung für den Beschwerdeführer "keine Folge" zu haben.

Mit Bescheid vom 12. Jänner 2006 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers - nach Konsultationen mit den zuständigen slowakischen Behörden - gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) als unzulässig zurück. Es stellte fest, für die Prüfung des Asylantrages sei "gemäß Artikel 16 (1) (c) der Verordnung (EG) Nr. 343/2003" (im Folgenden: Dublin-Verordnung) die Slowakei zuständig, und es wies den Beschwerdeführer gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Slowakei aus.

Begründend führte die Behörde unter anderem aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer "im Sinne des § 24b AsylG Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert ist." Die ärztliche Untersuchung habe eindeutig ergeben, dass in seinem Fall zwar eine leicht depressive Episode bestehe, jedoch derzeit keine traumaspezifischen Symptome vorlägen. Abgesehen davon, dass seinen Ausführungen über erlittene Misshandlungen keine Glaubwürdigkeit beigemessen werden könne, gebe es dafür keine medizinisch belegbaren Tatsachen.

In der dagegen erhobenen Berufung wiederholte der Beschwerdeführer sein erstinstanzliches Vorbringen, in Tschetschenien von russischen Soldaten zehn Tage lang festgehalten, geschlagen und mit Stromstößen gefoltert worden zu sein. Da er Folteropfer sei, hätte sein Asylverfahren gemäß § 24b AsylG zugelassen werden müssen. Darüber hinaus sei er aufgrund der geschilderten Erlebnisse traumatisiert. Im Bericht Dris. Schiebel würden Schlafstörungen festgehalten. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb trotzdem nicht das Vorliegen von Hyperarousal (ein klassisches Symptom der PTSD) diagnostiziert worden sei. Das Nichtvorliegen einer PTSD stehe somit nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest. Der Beschwerdeführer beantrage deshalb die Einholung eines diesbezüglichen Sachverständigengutachtens. Er werde sich auch selbst um einen Termin bei einem Psychotherapeuten bemühen und eine Stellungnahme nachreichen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ohne weitere Ermittlungen "gemäß § 5 Abs. 1 iVm § 5a Abs. 1 und 4 AsylG" ab.

Sie ging zunächst - von der Beschwerde unbestritten - davon aus, dass für die Prüfung des Asylantrages nach den Kriterien der Dublin-Verordnung die Slowakei zuständig sei.

Die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung lehnte sie im Folgenden - mit näherer Ausführungen dazu, dass dem Beschwerdeführer bei Überstellung in die Slowakei kein reales Risiko einer "Art. 3 EMRK-Verletzung" drohe - ab.

Eine Zulassung des Verfahrens nach § 24b Abs. 1 AsylG verneinte die belangte Behörde mit nachstehender Begründung:

"Was die medizinische Belegbarkeit einer möglichen Traumatisierung anbelangt, wurde eine solche von der untersuchenden Fachärztin für Psychiatrie am 22.12.2005 ausgeschlossen. Es bestehe eine leicht depressive Episode, die den Asylwerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht daran hindere, seine Interessen im Verfahren wahrzunehmen; ebenso bestehe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keine Gefahr einer Retraumatisierung im Fall der Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union. ... Folglich ist von keiner Traumatisierung auszugehen. Ebenso ergeben sich keine medizinisch belegbaren Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber Opfer von Folter geworden ist und deshalb das Verfahren zuzulassen wäre."

Der Bescheid wurde dem Bundesasylamt am 6. Februar 2006 per Telefax übermittelt; dem Beschwerdeführer wurde er erst am 14. Februar 2006 zugestellt. Bereits am 10. Februar 2006 langte bei der belangten Behörde ein "psychotherapeutischer Kurzbericht" betreffend den Beschwerdeführer (unterfertigt von Dr. F. H., Psychotherapeutin) vom 9. Februar 2006 ein, in dem - zusammengefasst - Symptome geschildert wurden, die - so die abschließende Diagnose - das Bild einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD10: F 43.1) zeigten. In einem Aktenvermerk vom 13. Februar 2006 hielt die belangte Behörde dazu fest, der Bericht habe "keine Auswirkung" auf die Entscheidung ("vgl. Gutachten FA Psychiatrie") und sei verspätet eingelangt, weil der Bescheid bereits abgefertigt und dem Bundesasylamt zugestellt worden sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Die Beschwerde kritisiert zunächst ausführlich die slowakische Asylrechtspraxis und gelangt zu dem Ergebnis, dass Österreich deshalb "jedenfalls" von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung Gebrauch machen hätte müssen. Ihre diesbezüglichen Einwände decken sich jedoch mit jenen, die auch in dem mit hg. Erkenntnis vom 25. April 2006, Zl. 2006/19/0673, entschiedenen Fall erhoben und für ungeeignet erachtet wurden, die reale Gefahr einer dem Beschwerdeführer drohenden Kettenabschiebung in seinen Herkunftsstaat aufzuzeigen. Es genügt daher, gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die nähere Begründung des zitierten Erkenntnisses zu verweisen.

2. Im Übrigen wendet sich die Beschwerde gegen die Auffassung der belangten Behörde, die Voraussetzungen des § 24b Abs. 1 AsylG seien nicht gegeben. In diesem Zusammenhang spricht sie nur (mehr) die Frage der Traumatisierung, nicht aber jene der behaupteten Folterung des Beschwerdeführers an. In der Berufung seien - so die Beschwerde - klassische Symptome eines posttraumatischen Belastungssyndroms dargestellt und ein Sachverständigengutachten zur möglichen Traumatisierung beantragt worden. Die belangte Behörde sei darauf in der angefochtenen Entscheidung nicht eingegangen.

Damit zeigt die Beschwerde im Ergebnis eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens auf.

Die belangte Behörde argumentierte, die Fachärztin für Psychiatrie habe eine Traumatisierung des Beschwerdeführers ausgeschlossen. Folglich sei von keiner Traumatisierung auszugehen.

Dem ist Folgendes zu erwidern:

Der Verwaltungsgerichtshof hat mittlerweile mehrfach klargestellt, dass gemäß dem hier noch anzuwendenden § 24b Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101, im Zulassungsverfahren nicht zu klären ist, ob eine Traumatisierung vorliegt. Es genügt, wenn medizinisch belegbare Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte. Im Einzelnen kann dazu gemäß § 43 Abs. 2 VwGG vor allem auf das hg. Erkenntnis vom 17. April 2007, Zl. 2006/19/0919 verwiesen werden.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde trifft es nicht zu, dass die untersuchende Ärztin im Zulassungsverfahren das Vorliegen einer Traumatisierung (nach dem oben Gesagten richtig:

medizinisch belegbarer Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, der Beschwerdeführer könnte durch die fluchtkausalen Geschehnisse traumatisiert sein) "ausgeschlossen" hat. Ihren Einschätzungen nach seien lediglich "dzt. keine traumaspezifischen Symptome explorierbar". Dem trat die Berufung unter Hinweis auf (auch bei der ärztlichen Untersuchung beim Beschwerdeführer festgestellte) Symptome, die "klassisch" für eine Traumatisierung sprechen sollen, substantiiert entgegen. Bei dieser Sachlage durfte sich die belangte Behörde nicht darauf beschränken, der Einschätzung der Ärztin im erstinstanzlichen Verfahren (bei der es sich um kein Sachverständigengutachten handelte; vgl. auch dazu das bereits zitierte Erkenntnis vom 17. April 2007) - ohne Aufklärung der in der Berufung aufgeworfenen Fragen - zu folgen, sondern sie hätte eine fachkundige Beurteilung dieses strittigen Themas vornehmen lassen müssen.

Der angefochtene Bescheid war deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 12. Dezember 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190742.X00

Im RIS seit

17.01.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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