RS Vfgh 1988/3/12 G159/87

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Veröffentlicht am 12.03.1988
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Index

L4 Innere Verwaltung
L4000 Anstandsverletzung, Ehrenkränkung, Lärmerregung, Polizeistrafen

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art115 Abs1 und Abs2
B-VG Art118 Abs2 letzter Satz
B-VG Art118 Abs3 Z3
B-VG Art144 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs4
Krnt PolizeiG 1977 §2 und §4

Leitsatz

Bei fehlender Bezeichnung einer Angelegenheit als solche des eigenen Wirkungsbereiches iS des Art118 Abs2 B-VG ist jene einfachgesetzliche Bestimmung präjudiziell, in der die Angelegenheit, welche hätte bezeichnet werden sollen (materiell) geregelt ist Ktn. Gesetz über Anstandsverletzung und Lärmerregung, LGBl. 74/1977; "Lärmerregung" nach §2 - Angelegenheit der örtlichen Sicherheitspolizei; Erlassung von Durchführungsverordnungen eine iS des Art118 Abs2 zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehörende Angelegenheit; keine Verordnungsermächtigung durch den zuständigen Materiengesetzgeber - diese ergibt sich unmittelbar aus Art18 Abs2 B-VG; Fehlen einer zur Bezeichnung iS des Art118 Abs2 B-VG zugänglichen Norm

Rechtssatz

Prüfung des §2 und der Worte "und §2 Abs1" in §4 K-PolG 1977 in der Stammfassung.

Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes gehen dahin, daß der einfache Gesetzgeber seiner Bezeichnungspflicht nicht nachgekommen ist. Nach der Vorjudikatur (zB VfSlg. 6944/1972) ist in Fällen wie dem vorliegenden jene einfachgesetzliche Bestimmung präjudiziell, in der die Angelegenheit, welche hätte bezeichnet werden sollen, (materiell) geregelt ist. Bei dieser Angelegenheit handelt es sich hier um die Abwehr der Lärmerregung. Die Angelegenheit ist nun aber im gesamten §2 K-PolG - also nicht bloß in bestimmten Teilen - geregelt; nur die Aufhebung des ganzen §2 K-PolG vermöchte - träfen die aufgezeigten Bedenken zu - für den Anlaßfall eine Rechtslage herbeizuführen, gegen die diese Bedenken nicht mehr bestehen. Das Zitat des §2 Abs1 im §4 würde im Falle der Aufhebung des §2 gegenstandslos.

Der mit "Lärmerregung" überschriebene §2 K-PolG in seiner Stammfassung betraf eine Angelegenheit, die zur örtlichen Sicherheitspolizei gehört und damit in die Gesetzgebungs- und Vollziehungszuständigkeit der Länder (Art15 Abs1 iVm Art15 Abs2 B-VG) und zugleich in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde (Art15 Abs2 iVm Art118 Abs3 Z3 B-VG; §10 Abs2 Z4 AGO) fällt. In ihrer Stammfassung beschränkte sich diese landesgesetzliche Vorschrift darauf, durch Normierung des Tatbestandes einer Verwaltungsübertretung (Abs1) ein Verbot zu statuieren, das sie durch Begriffsbestimmungen (Abs2 und 3) näher umschrieb. Die Ahndung von Verwaltungsübertretungen gehört nicht zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde (VfSlg. 8155/1977, 9704/1983, 10.614/1985). §2 K-PolG selbst normierte somit in der Stammfassung des Gesetzes weder für sich allein noch im Zusammenhalt mit einer anderen Vorschrift des Gesetzes - insbesondere nicht iVm dessen §4, welcher die die Verwaltungsübertretung betreffende Sanktionsnorm enthielt - eine in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallende behördliche Aufgabe.

§2 K-PolG enthielt in seiner Stammfassung keine Ermächtigung zur Erlassung von Durchführungsverordnungen. Er bildete jedoch angesichts der Begriffsbestimmungen in seinen Abs2 und 3 - zum Unterschied etwa von §1 des Stmk. PolG (vgl. VfSlg. 10.614/1985) - eine iSd Art18 Abs2 B-VG inhaltlich ausreichend bestimmte Grundlage für die Erlassung von Durchführungsverordnungen. Die den zuständigen Verwaltungsbehörden eingeräumte Ermächtigung zur Erlassung solcher Durchführungsverordnungen ergab sich mithin nicht aus dem §2 (oder einer anderen Vorschrift) des K-PolG, sie folgte vielmehr aus Art18 Abs2 B-VG, der die Verwaltungsbehörden innerhalb ihres Wirkungsbereiches zur Erlassung von (Durchführungs-)Verordnungen ermächtigt, ohne daß es dazu einer (zusätzlichen) Ermächtigung durch den einfachen Gesetzgeber bedürfte.

Die unmittelbar durch Art18 Abs2 B-VG erteilte Ermächtigung zur Erlassung von Durchführungsverordnungen gilt auch für jene Fälle, in denen zur Vollziehung einer gesetzlichen Vorschrift, die einer ausdrücklichen Verordnungsermächtigung entbehrt, die Gemeinden im eigenen Wirkungsbereich berufen sind. Auch in solchen Fällen leitet sich die den zuständigen Gemeindebehörden zukommende Befugnis zur Erlassung einer Durchführungsverordnung nicht aus der einfach-gesesetzlichen Vorschrift, auf die sich die Verordnung inhaltlich stützt und deren Konkretisierung sie dient, sondern unmittelbar aus Art18 Abs2 B-VG ab.

Keine Verfassungswidrigkeit des §2 und der Worte "und §2 Abs1" in §4 K-PolG 1977 in der Stammfassung. Keine Verletzung der Bezeichnungspflicht.

Nach Art118 Abs2 letzter Satz B-VG haben die Gesetze jene Angelegenheiten der Gemeinde, die von ihr im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen sind, ausdrücklich als Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde zu bezeichnen. Unterbleibt entgegen diesem Verfassungsauftrag die Bezeichnung, so ist das Gesetz verfassungswidrig.

Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, daß die auf die Erregung von Lärm sich beziehenden Vorschriften des K-PolG zwar auf einem der örtlichen Sicherheitspolizei und demnach dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zugehörigen Gebiet den Tatbestand einer Verwaltungsübertretung und eine damit zusammenhängende Strafsanktion normierten, aber selbst jedenfalls keine von einem Gemeindeorgan im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde wahrzunehmende Kompetenz festlegten.

In einem Fall wie dem vorliegenden ist die Erlassung von Durchführungsverordnungen eine iSd Art118 Abs2 B-VG zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehörende "Angelegenheit". Die Bezeichnung einer solchen Angelegenheit ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (siehe dazu VfSlg. 5409/1966, 5415/1966, 9722/1983) eine Aufgabe des für die Regelung der Materie zuständigen Gesetzgebers. Es ist dies jener Gesetzgeber, der die in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallende Aufgabe (zuständigerweise) regelt. Da die hier in Rede stehende, zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehörende Aufgabe - die Erlassung von Durchführungsverordnungen zu §2 K-PolG (in der Stammfassung des Gesetzes) - nicht durch den Materiengesetzgeber, also den gemäß Art15 Abs1 iVm Art15 Abs2 B-VG zur Regelung der Angelegenheiten der örtlichen Sicherheitspolizei zuständigen Landesgesetzgeber, geregelt wurde, sondern sich unmittelbar aus der Verfassungsvorschrift des Art18 Abs2 B-VG ergab, fehlte es in dem vorliegenden besonderen Fall überhaupt an einer der Bezeichnung zugänglichen Norm, sodaß sich für den Landesgesetzgeber die Frage der Bezeichnungspflicht iSd Art118 Abs2 zweiter Satz B-VG gar nicht stellen konnte.

Mit (Ktn. Landes-)Gesetz vom 20.01.87, LGBl. 18, (herausgegeben am 13.04.87) wurde das Ktn. PolG, LGBl. 74/1977, wie folgt geändert:

...

Aufgrund dieser Novelle sind also mit Ablauf des 13.04.87 die in Prüfung gezogenen Vorschriften außer Kraft getreten.

Es war daher gemäß Art140 Abs4 B-VG auszusprechen, daß diese Gesetzesbestimmungen nicht verfassungswidrig waren.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Gemeinderecht, Wirkungsbereich eigener, Polizeirecht, Lärmerregung, Kompetenz Bund - Länder, Verwaltungsstrafrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:G159.1987

Dokumentnummer

JFR_10119688_87G00159_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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