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27 RechtspflegeNorm
StGG Art5Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen standeswidrigen Verhaltens in seinem Privatleben als Mieter einer Wohnung; keine Verletzung des Klarheitsgebotes, keine Willkür, keine Verletzung der Verfahrensgarantien der Europäischen Menschenrechtskonvention, kein Ermessensmissbrauch bei der StrafbemessungSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 18. Juni 2004, das auch unbekämpft gebliebene Teilfreisprüche enthält, wurde der Beschwerdeführer des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldbuße in Höhe von € 2.500,- sowie zum anteiligen Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt, weil er
"1. die von ihm als Mieter der Wohnung in ... vertraglich übernommen Verpflichtungen dadurch nicht eingehalten [hat], dass er
a) ab Dezember 1999 bis 24. Mai 2002 entgegen dem vertraglichen Verbot der Hundehaltung im Bestandobjekt einen Schäferhund gehalten hat;
b) zu dem mit 31. März 2001 vereinbarten Endtermin des Mietvertrages das Bestandobjekt nicht geräumt von eigenen Fahrnissen an den Vermieter zurückgestellt hat;
2. diese von ihm vertraglich übernommenen Verpflichtungen darüberhinaus im Verfahren ... des BG Döbling von Februar 2000 bis zu dessen rechtskräftiger Beendigung im März 2002 und im Verfahren ... des BG Döbling von Februar 2001 bis zum Abschluss eines Räumungsvergleichs am 12. September 2001 mutwillig bestritten bzw. in diesem Verfahren wider bessere[n] Wissen[s] unrichtige Prozessbehauptungen aufgestellt [hat];
3. trotz Rechtskraft der im Verfahren ... des BG Döbling festgestellten Verpflichtung, den im Bestandobjekt gehaltenen Hund zu entfernen und künftighin die Hundehaltung im Bestandobjekt zu unterlassen,
a) fortgesetzt gegen dieses rechtskräftige Verbot verstoßen, sodass zur Durchführung desselben vom Vermieter ... ein Exekutionsverfahren eingeleitet werden musste, und
b) in diesem Exekutionsverfahren die bestehende Verpflichtung mutwillig bestritten bzw. Rechtsmittel erhoben und in diesem wider bessere[n] Wissen[s] unrichtige Prozessbehauptungen aufgestellt [hat]."
1.2. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: OBDK) vom 13. Februar 2006 keine Folge gegeben.
2. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Unversehrtheit des Eigentums, auf ein faires Verfahren, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie eine Verletzung des Klarheitsgebotes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
3. Die OBDK legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens auch nicht entstanden.
Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.
2.1. Der Beschwerdeführer behauptet eine Verletzung des durch Art7 EMRK gewährleisteten Klarheitsgebotes, weil im Einleitungsbeschluss präzisiert werden hätte müssen, welche konkreten disziplinären Vorwürfe gegen ihn erhoben werden. Weder das Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 18. Juni 2004 noch der angefochtene Bescheid enthalte konkrete disziplinäre Vorwürfe.
2.2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt dargelegt hat, handelt es sich bei einem Einleitungsbeschluss lediglich um eine prozessleitende Verfügung, die der Durchführung eines Disziplinarverfahrens vorauszugehen hat (vgl. VfSlg. 9425/1982, 10.944/1986, 11.448/1987, 11.608/1988, 12.698/1991, 12.881/1991, 17.505/2005). Er soll dem Disziplinarbeschuldigten Klarheit darüber verschaffen, welcher disziplinäre Vorwurf gegen ihn erhoben wird, wenngleich eine spätere "Erweiterung" der Anschuldigungspunkte nicht ausgeschlossen wird (vgl. VfSlg. 9425/1982). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers tritt durch den Einleitungsbeschluss keine Präjudizierung des Disziplinarrates ein (vgl. VfSlg. 12.962/1992).
2.2.2. Eine Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen Ehre und Ansehen des Standes muss sich auf gesetzliche Regelungen oder auf verfestigte Standesauffassungen - wofür Richtlinien oder die bisherige (Standes-)Judikatur von Bedeutung sind - stützen, die in einer dem Klarheitsgebot entsprechenden Bestimmtheit feststehen (VfSlg. 11.776/1988). Dem aus Art7 EMRK erfließenden Gebot entspricht die Behörde dann nicht, wenn sie sich - statt zu benennen, gegen welche konkrete Standespflicht ein inkriminiertes Verhalten verstößt - nur mit Rechtsprechungshinweisen begnügt.
Ein solcher Fall liegt hier nicht vor: Die Verurteilung des Beschwerdeführers stützt sich auf §10 Abs2 Rechtsanwaltsordnung (im Folgenden: RAO) und auf §3 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter. Die belangte Behörde hat sich bei der Beurteilung des Sachverhaltes im Rahmen dessen gehalten, was bei vernünftiger Interpretation der Begriffe "Ehre und Ansehen des Standes" für den Beschwerdeführer erkennbar sein musste, nämlich, dass er sich durch sein Verhalten einer Bestrafung aussetzt. Ein Rechtsanwalt unterliegt nämlich inner- und außerhalb seines Berufes den Standesvorschriften (VfSlg. 5129/1965). Der Beruf des Rechtsanwaltes steht im Blickfeld der Öffentlichkeit und soll daher ein besonderes Vertrauen rechtfertigen. Wenn der Beschwerdeführer - wie im vorliegenden Fall - trotz Rechtskraft der im Verfahren vor dem Bezirksgericht Döbling festgestellten Verpflichtung, den im Bestandobjekt gehaltenen Hund zu entfernen und künftig dort die Hundehaltung zu unterlassen, gegen dieses Verbot verstößt, sodass ein Exekutionsverfahren eingeleitet werden musste, hat sich der Beschwerdeführer nicht nur als nicht gesetzestreuer Bürger (vgl. den Wortlaut seines Gelöbnisses vor der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte, §7 RAO) gezeigt, sondern auch einer Gerichtsentscheidung zuwider gehandelt. Der belangten Behörde kann aus verfassungsrechtlicher Sicht daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass ein Rechtsanwalt sein gegebenes Wort einzuhalten und übernommene Verbindlichkeiten oder Verpflichtungen - auch in seinem Privatleben - zu erfüllen hat.
Der angefochtene Bescheid steht somit im Lichte der zitierten Rechtsprechung mit dem aus Art7 EMRK erfließenden Klarheitsgebot im Einklang.
3.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren verletzt, weil eine volksöffentliche Verhandlung im vorliegenden Verfahren nicht stattgefunden habe. Die Einvernahme von beantragten Zeugen sei unterblieben, darüber hinaus habe der Beschwerdeführer keine Gelegenheit zur Äußerung gehabt.
3.2.1. Wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, wurde vom Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien am 18. Juni 2004 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Am 13. Februar 2006 fand die Berufungsverhandlung vor der OBDK statt. In beiden Verhandlungen hatte der Beschwerdeführer die Gelegenheit, seinen Standpunkt darzulegen.
Wenn der Beschwerdeführer vorbringt, die OBDK habe die mündliche Verhandlung nicht öffentlich durchgeführt, ist dem entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung nicht beantragt hat. Gemäß §51 Abs1 Disziplinarstatut (im Folgenden: DSt 1990) iVm. §229 Strafprozessordnung ist die Verhandlung vor der OBDK auf Antrag des Disziplinarbeschuldigten öffentlich. Ein Ausschluss der Öffentlichkeit ist in Entsprechung der Rechtfertigungsgründe des Art6 Abs1 EMRK nur aus Gründen der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung sowie im überwiegenden Interesse eines Zeugen oder eines Dritten gerechtfertigt (vgl. dazu VfSlg. 15.847/2000, 17.440/2005).
Der belangten Behörde kann kein Vorwurf gemacht werden, wenn der Beschwerdeführer von dem ihm gemäß §51 Abs1 DSt 1990 zustehenden Recht keinen Gebrauch gemacht hat. Hinzu tritt, dass der Beschwerdeführer selbst Rechtsanwalt ist und davon ausgegangen werden kann, dass ihm die maßgeblichen Rechtsvorschriften bekannt sind. Die Nichtbeantragung der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung kann als konkludenter Verzicht gewertet werden (VfSlg. 17.440/2005).
3.2.2. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) sieht das Recht, die Ladung von Entlastungszeugen zu verlangen, nicht als absolut an (EGMR 22.4.1992, Fall Widal gegen Belgien, Appl. Nr. 12351/86). Die Beurteilung, ob ein Zeuge zu laden ist, weil er "wesentlich" ist, obliegt zunächst den nationalen Gerichten. Der EGMR stellt nur darauf ab, ob das Verfahren insgesamt fair war (vgl. zur diesbezüglichen Rechtsprechung des EGMR auch VfGH 28.2.2006, B831/05). Der belangten Behörde kann aus verfassungsrechtlicher Sicht daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass es zur Erhebung des relevanten Sachverhaltes nicht der Einvernahme der vom Beschwerdeführer beantragten Zeugen bedurfte, zumal bei der disziplinären Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers die Äußerungen der betreibenden Partei im Exekutionsverfahren vor dem Bezirksgericht Döbling außer Betracht zu bleiben haben.
Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren verletzt.
4.1. Weiters behauptet der Beschwerdeführer eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Begründend führt er im Wesentlichen aus, dass die belangte Behörde die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens unterlassen und das Vorbringen des Beschwerdeführers ignoriert habe. Ein weiterer Verstoß gegen Art7 B-VG wird darin erblickt, dass sich die belangte Behörde mit den beigeschafften Akten nicht "abschließend" auseinandergesetzt habe.
4.2. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).
Den Verwaltungsakten ist zu entnehmen, dass die belangte Behörde ein Ermittlungsverfahren durchgeführt und sich dabei eingehend mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt hat. In der Berufungsverhandlung vor der OBDK am 18. Juni 2006 wurden Auszüge sämtlicher Akten des Bezirksgerichtes Döbling verlesen und dem Beschwerdeführer die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Der Verfassungsgerichtshof kann daher keine willkürliche Vorgangsweise der belangten Behörde erblicken, der Beschwerdeführer wurde nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.
5.1. Der Beschwerdeführer erblickt einen Verstoß gegen sein Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter darin, dass die belangte Behörde eine inhaltlich rechtswidrige Entscheidung getroffen und damit gesetzwidrig eine Sachentscheidung verweigert habe.
5.2. Inwiefern das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG verletzt sein soll, ist unerfindlich. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes gewährleistet dieses Recht die Fällung einer Sachentscheidung durch die hiezu gesetzlich berufene und richtig zusammengesetzte Behörde. Allenfalls unterlaufene Verfahrensmängel oder inhaltliche Unrichtigkeiten in einer Sachentscheidung sind für das Urteil, ob die Entscheidung von der sachlich zuständigen Behörde getroffen wurde, unbeachtlich (VfSlg. 15.793/2000).
6.1. Schließlich rügt der Beschwerdeführer unter dem Titel des Art5 StGG die Verhängung einer Geldbuße in Höhe von € 2.500,-.
6.2. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides würde dieser das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nur verletzen, wenn die Behörde das Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (vgl. zB VfSlg. 15.001/1997, 16.113/2001, 16.701/2002).
§16 Abs6 DSt 1990 räumt den Disziplinarbehörden bei der Festsetzung von Strafen ein (Auswahl-)Ermessen ein, wobei unter anderem das Ausmaß des Verschuldens Berücksichtigung finden soll. Dem angefochtenen Bescheid sind keine in die Verfassungssphäre reichenden Fehler anzulasten, der Beschwerdeführer wurde deshalb auch nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.
7. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.
Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
8. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, fair trial, Verhandlung mündlicheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2006:B992.2006Dokumentnummer
JFT_09939074_06B00992_00