RS Vfgh 2017/3/7 G407/2016 ua

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Veröffentlicht am 07.03.2017
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
ASVG §111, §113 Abs1, §113 Abs2
EMRK 7. ZP Art4
EMRK Art6 Abs1 / Strafrecht
StGG Art5

Leitsatz

Kein Verstoß der Bestimmungen über Beitragszuschläge wegen Unterlassung der Meldung zur Sozialversicherung vor Arbeitsantritt gegen das Doppelbestrafungsverbot; Beitragszuschlag keine Strafe bzw keine Sanktion strafrechtlichen Charakters, sondern Pauschalersatz der Dienstgeber für den Verwaltungsaufwand der Krankenversicherungsträger zur Aufdeckung von Schwarzarbeit; kein Verstoß gegen das Eigentums- und Gleichheitsrecht im Fall der Inanspruchnahme eines Steuerberaters

Rechtssatz

Abweisung der Anträge des Bundesverwaltungsgerichtes, soweit sie sich auf §113 Abs1 Z1 und Abs2 ASVG idF BGBl I 31/2007 beziehen; im Übrigen Zurückweisung der Anträge.

Der jeweils bekämpfte Bescheid der Gebietskrankenkasse stützt sich auf §113 Abs1 Z1 und Abs2 ASVG und betrifft jeweils einen Sachverhalt, nach welchem Dienstnehmer, die nicht zur Sozialversicherung gemeldet waren, bei der Arbeit betreten wurden. Präjudizialität daher nur der Z1 des §113 Abs1 ASVG; kein untrennbarer Zusammenhang mit Z2 bis Z4.

Der in §113 Abs1 Z1 ASVG geregelte Beitragszuschlag stellt ebenso wenig eine Strafe dar wie Verzugszinsen, deren Höhe in den Fällen der Z2 bis Z4 des §113 Abs1 gemäß Abs3 letzter Satz ASVG vom Beitragszuschlag nicht unterschritten werden darf. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht in diesem Zusammenhang auch, dass der Beitragszuschlag nach Z1 - anders als eine Verwaltungsstrafe - nicht etwa der betreffenden Gebietskörperschaft (hier: dem Bund), sondern jenem Krankenversicherungsträger zufließt, der den Aufwand der Kontrolle nicht angemeldeter Beschäftigung ("Schwarzarbeit") zu tragen hat.

Kein Vorliegen einer "strafrechtlichen Anklage" nach Art6 Abs1 EMRK.

Soweit das antragstellende Gericht auf die sog "Engel-Kriterien" (EGMR 23.11.1976, Fall Engel ua, Appl 5100/71 ua) rekurriert, übersieht es, dass die Qualifikation als Straftatbestand durch den Gesetzgeber ausdrücklich zu erfolgen hätte. Der Umstand, dass der Abschnitt VIII des Zweiten Teils des ASVG, welcher die Gruppe von Bestimmungen von §111 bis §113 ASVG enthält, mit "Strafbestimmungen" überschrieben ist, stellt für sich allein noch keine solche Qualifikation auch des §113 ASVG dar.

Beim Beitragszuschlag gemäß §113 Abs2 ASVG handelt es sich um keine Sanktion strafrechtlichen Charakters, sondern um einen Pauschalersatz für den Verwaltungsaufwand, der durch Bereithaltung und den Einsatz von Personal zur Kontrolle von Arbeitsstätten iSd §41a ASVG zwecks Aufdeckung von "Schwarzarbeit" entsteht. Diese Kosten werden nach dem Willen des Gesetzgebers von jenen Dienstgebern zumindest teilweise getragen, bei denen die Beschäftigung von nicht gemeldeten Dienstnehmern aus Anlass einer "Prüfung nach §41a ASVG" festgestellt wird und zwar im Verhältnis der Zahl der auf diese Weise unangemeldet beschäftigten Dienstnehmer. Die darin (auch) zum Ausdruck kommende (bei Schwarzarbeit in größerem Umfang auch durchaus empfindliche Höhe erreichende) Sanktionierung des Unterlassens der "Mindestangaben-Meldung" iSd §33 Abs1a ASVG soll offenkundig vermeiden helfen, dass sich ein Dienstgeber der Meldepflicht in der Hoffnung entzieht, die Beschäftigung werde dem Krankenversicherungsträger entweder gar nicht oder erst so spät zur Kenntnis gelangen, dass sich der tatsächliche Beginn der Beschäftigung oder die Höhe des Entgelts nicht oder nur mehr schwer überprüfen lassen; dass die Kostenbeteiligung eine administrative Reaktion auf die Verletzung von Ordnungsvorschriften ist, macht sie noch nicht zur Strafnorm.

Abgesehen von der Zuständigkeit der Gebietskrankenkasse, die nicht Strafbehörde ist, spricht für das Vorliegen einer Verwaltungsstrafe auch nicht der Umstand, dass bei der Bemessung dieses Aufwandersatzes auf (in der Regel freilich atypische) Sachverhaltselemente des Einzelfalles, die berücksichtigungswürdig sind, wie im Falle einer erstmaligen Unterlassung der Meldung mit unbedeutenden Folgen, eine Herabsetzung oder gar ein Erlass des Beitragszuschlages in Betracht kommt. Damit wird - im Gegenteil - deutlich, dass die Verhängung des Kostenbeitrages (zum Unterschied von einer Verwaltungsstrafe) nicht obligatorisch ist. Damit entspricht der Gesetzgeber jenen Maßstäben, die der VfGH für vergleichbare Rechtsinstitute entwickelt hat (VfSlg 19701/2012, 11295/1987).

Auch das Bedenken, dass die angefochtenen Bestimmungen dem Dienstgeber im Falle der Betrauung eines Steuerberaters in einer gegen das Eigentumsrecht und das Gleichheitsrecht verstoßenden Weise eine Haftung für fremdes Verschulden auferlegen würden, trifft nicht zu.

Eine Übertragung der den Dienstgeber treffenden gesetzlichen Meldepflichten auf Bevollmächtigte ist nach §35 Abs3 ASVG zwar ausdrücklich zugelassen, die rechtliche Wirksamkeit einer solchen Übertragung ist allerdings daran gebunden, dass diese Person dem zuständigen Versicherungsträger bekannt gegeben worden ist. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass die gesetzlichen (Melde-)Verpflichtungen solange in der Verantwortung des Dienstgebers bleiben, als eine solche Bekanntgabe an die Gebietskrankenkasse nicht erfolgt ist, und dass ein Dienstgeber, der sich ohne eine solche Bekanntgabe bei der Erfüllung seiner gesetzlichen Pflichten eines von ihm ausgewählten Gehilfen bedient, in beitragsrechtlicher Hinsicht für dessen Verschulden wie für sein eigenes in Anspruch genommen wird.

Entscheidungstexte

  • G407/2016 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 07.03.2017 G407/2016 ua

Schlagworte

Sozialversicherung, Beitragszuschlag (Sozialversicherung), Doppelbestrafungsverbot, Strafe (Verwaltungsstrafrecht), VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:G407.2016

Zuletzt aktualisiert am

04.09.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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