Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AlVG 1977 §10Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Waidhofen an der Ybbs gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Dezember 2018, Zl. W255 2210413-1/4E, betreffend Behebung und Zurückverweisung in einer Angelegenheit des AlVG (mitbeteiligte Partei: H M in K), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid der revisionswerbenden regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) vom 10. August 2018 wurde gemäß § 10 AlVG ausgesprochen, dass der Mitbeteiligte für den Zeitraum 1. August bis 20. August 2018 seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld verloren habe. Mit Bescheid vom 16. August 2018 wurde gemäß § 38 iVm § 10 AlVG ausgesprochen, dass der Mitbeteiligte für den Zeitraum 21. August bis 11. September 2018 seinen Anspruch auf Notstandshilfe verloren habe. Beide Bescheide wurden damit begründet, dass der Mitbeteiligte die Annahme einer ihm vom AMS zugewiesenen zumutbaren Beschäftigung verweigert bzw. vereitelt habe (tatsächlich handelte es sich - wie das AMS in weiterer Folge einräumte - um eine sonst sich bietende Arbeitsmöglichkeit).
2 In seinen gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden brachte der Mitbeteiligte insbesondere - wie schon in der mit dem AMS aufgenommenen Niederschrift vom 9. August 2018 - vor, dass er wegen der Teilamputation seiner linken Hand (mit einer Invalidität von 60 %) Bedenken im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Tätigkeit (Bedienen von Anlagen wie Presse und Säge, Arbeiten an einem mit Salpetersäure gefüllten Tauchbecken) habe.
3 Das AMS legte die Beschwerden ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung dem Bundesverwaltungsgericht vor. Es erläuterte im Vorlagebericht, dass der Arbeitgeber die für die Tätigkeit an den betreffenden Anlagen maßgeblichen Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumente bislang nicht zur Verfügung gestellt habe. Auf Grundlage dieser Dokumente wäre unter Mitwirkung des zuständigen Arbeitsinspektorats sowie erforderlichenfalls unter Berücksichtigung einer zusätzlichen medizinischen Begutachtung die Beurteilung der Zumutbarkeit der Beschäftigung möglich gewesen. Zum Zweck der aus Sicht des AMS erforderlichen weiteren Erhebungen "bzw. auch unter Berücksichtigung der mittlerweile eingetretenen Unzuständigkeit infolge Fristüberschreitung" werde der Beschwerdeakt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
4 Mit dem angefochtenen Beschluss behob das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGG die Bescheide des AMS vom 10. und 16. August 2018 und verwies die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide zurück.
5 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensgangs insbesondere aus, dass es das AMS unterlassen habe, hinreichende Ermittlungen hinsichtlich der Zumutbarkeit des Stellenangebots durchzuführen. Dem AMS sei bewusst gewesen, dass der Mitbeteiligte einen Grad der Behinderung von mindestens 50 % habe, wie auch aus der Betreuungsvereinbarung vom 19. Juni 2018 hervorgehe. Das AMS hätte ermitteln müssen, ob die Beschäftigung, die das Bedienen verschiedener technischer Anlagen wie Sägen und Pressen umfasse, im Hinblick auf die körperlichen Fähigkeiten des Mitbeteiligten angemessen sei und ob dadurch seine Gesundheit gefährdet werde. Das bloße Anfordern von Sicherheits- und Gesundheitsdokumenten sei für die Beurteilung des Sachverhalts nicht ausreichend. Zudem ergebe sich aus dem Verwaltungsakt, dass das AMS mit den Ermittlungen bezüglich der Zumutbarkeit überhaupt erst nach Erlassung der Bescheide vom 10. und 16. August 2018 aus Anlass der dagegen erhobenen Beschwerden begonnen habe. In der Beschwerdevorlage habe das AMS selbst bestätigt, dass die Ermittlungen nicht abgeschlossen worden seien.
6 Es sei aber in erster Linie Sache des AMS, zum Zeitpunkt seiner Entscheidung den maßgeblichen Sachverhalt vollständig zu ermitteln und diese Aufgabe nicht etwa an die Rechtsmittelinstanz auszulagern. Es könne nicht festgestellt werden, dass der maßgebliche Sachverhalt feststehe oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Die angefochtenen Bescheide seien daher gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG unter Zurückverweisung der Angelegenheit an das AMS aufzuheben gewesen.
7 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Das AMS erblickt entgegen dem Ausspruch des Bundesverwaltungsgerichts eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG in erster Linie darin, dass das Bundesverwaltungsgericht in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Voraussetzungen für eine Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3
2. Satz VwGG bejaht habe. Das trifft jedoch nicht zu:
12 Die Zurückverweisungsmöglichkeit stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung darf demnach nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat; Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. zum Ganzen VwGH 27.1.2016, Ra 2015/08/0171, mwN).
13 Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass das AMS vor Erlassung der erstinstanzlichen Bescheide keinerlei Ermittlungen zur Zumutbarkeit der Beschäftigung im Hinblick auf die körperlichen Fähigkeiten des Mitbeteiligten und eine mögliche Gesundheitsgefährdung durchgeführt hat, obwohl aktenkundig war, dass er einen Grad der Behinderung von mindestens 50 % aufwies, und er bereits in der Niederschrift vom 9. August 2018 auf durchzuführende Tätigkeiten mit Pressen und Sägen sowie an Säurebecken hingewiesen hatte. Dass das AMS, wie in der Revision behauptet, bei Erlassung der Bescheide noch von einer reinen Staplertätigkeit ausgegangen ist, ist vor dem Hintergrund dieser niederschriftlichen Angaben nicht nachvollziehbar.
14 Da das AMS die fallbezogen erforderlichen Ermittlungen nicht schon vor Erlassung seiner Bescheide durchgeführt hat und sodann innerhalb der für die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung offen stehenden Frist nur mehr ansatzweise nachholen konnte, ist das Bundesverwaltungsgericht in jedenfalls nicht unvertretbarer Weise vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGG ausgegangen (vgl. zu diesem bei der einzelfallbezogenen Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG anzulegenden Maßstab etwa VwGH 8.11.2018, Ra 2018/22/0232, mwN).
15 Es trifft entgegen der weiteren Zulässigkeitsbegründung der Revision auch nicht zu, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht hinreichend konkret ausgeführt hat, welche Veranlassungen im fortgesetzten Verfahren noch zu treffen sein würden. Vielmehr wurde dem AMS aufgetragen, zu ermitteln, ob die Beschäftigung im Hinblick auf die körperlichen Fähigkeiten des Mitbeteiligten angemessen sei und ob dadurch seine Gesundheit gefährdet würde. Dieser Auftrag umfasste alle für die betreffenden Feststellungen notwendigen Ermittlungen, ohne dass es in diesem Verfahrensstadium, in dem sich die bisherigen Ermittlungsschritte des AMS im Wesentlichen auf das Anfordern der Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumente beschränkt hatten, einer näheren Spezifikation bedurft hätte.
16 Richtig ist, dass im Spruchpunkt A) von der Aufhebung des angefochtenen Bescheides im Singular die Rede ist. Es kann aber überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass die Aufhebung beide im Spruch genannten Bescheide - vom 10. und 16. August 2018 - erfasst.
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 21. Februar 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019080026.L00Im RIS seit
18.06.2019Zuletzt aktualisiert am
18.06.2019